Zwei Drittel machen einen Unterschied…

Es ist Mitte Juli, die „Corona-Welle“ von März/April ist längst vorbei (1), die vom Robert-Koch-Institut diesbezüglich ermittelten Fallzahlen sind aktuell so niedrig wie nie (2) und trotzdem spricht Gesundheitsminister Spahn immer noch davon, dass zwei Drittel der Bevölkerung geimpft sein müssten, um „einen Unterschied zu machen“.

Ich frage mich: Was ist da los? Auf welchem miesen Trip ist der?

Die Zahl „zwei Drittel“ oder 66 % war ja durchaus mal begründbar und herleitbar – Anfang März, als man davon ausgehen konnte, dass das neuartige Coronavirus auf Menschen trifft, die ihm keinerlei Immunität entgegenzusetzen haben. Zumindest ging Professor Drosten davon aus; andere widersprachen dieser Sichtweise schon damals. In seinem Podcast rechnete Drosten vor, dass dem Stand der Forschung zufolge ein Erkrankter drei weitere Personen anstecken würde; wenn man die Ausbreitung stoppen wolle, dann müsse diese Zahl – die berühmte „Reproduktionszahl – unter eins sinken (3).

3 – 1 = 2, somit müssten zwei Drittel bzw. 66 Prozent die Krankheit durchlaufen, wodurch sie immunisiert würden und dazu beitrügen, die Ausbreitung zu stoppen. Alternativ zur Immunisierung mittels „Durchseuchung“ könne die Ausbreitung durch Kontaktbeschränkungen verlangsamt werden – bis es einen Impfstoff gäbe.

So lautete Drostens Überlegung Anfang März, und damals erschien sie mir als interessiertem Hörer seines Podcasts ebenso nachvollziehbar wie sinnvoll. Inzwischen wissen wir, dass einiges an dieser Rechnung – die nicht nur von Drosten alleine aufgestellt worden war, sondern beispielsweise auch diversen epidemiologischen Hochrechnungen zugrunde lag – nicht ganz richtig gewesen sein kann.

So sank bekanntlich die Reproduktionszahl bereits im März unter eins, und zwar noch vor dem eigentlichen Lockdown. Freiwillige Kontaktbeschränkungen mögen dabei eine Rolle gespielt haben, beispielsweise vermehrtes Arbeiten im Homeoffice, ebenso wie frühlingshafte Temperaturen – ein schlechtes Klima für Viren. Mit großer Sicherheit war aber die wichtigste Annahme einfach falsch: Das Fehlen jeglicher Immunität gegenüber diesem zwar neuen, aber mit anderen Erkältungsviren eben doch verwandten Coronavirus.

Für eine wie auch immer geartete Immunität spricht vor allem die große Anzahl derer, die eine Infektion mit SARS-CoV-2, wie das neuartige Coronavirus korrekt heißt, durchmachen, ohne überhaupt Krankheitssymptome zu entwickeln oder wenn, dann nur ganz leichte. Der Anteil dieser offenbar weitgehend immunen Personen unter den Infizierten beträgt Studien zufolge mindestens 80 Prozent und liegt damit schon deutlich über den zwei Dritteln, die gemäß den früheren Überlegungen erst noch immunisiert werden müssten. Sogar Drosten hat in einer späteren Podcast-Folge die Möglichkeit einer „versteckten Hintergrund-Immunität“ eingeräumt.

Und trotzdem hält Jens Spahn an der Aussage „zwei Drittel müssen geimpft werden“ fest. Corina meint, das sei erstaunlich. Ich gebe ihr da Recht und finde es obendrein ein bisschen beunruhigend. Wenn man sich anschaut, wie „gut“ Grippeimpfungen funktionieren, dann ist das jedenfalls kein gutes Omen für eine Rückkehr zur Normalität – und auf die Bühne. Außer vielleicht, man spielt für Autos. Jedenfalls möchte ich Drostens Idee einer „versteckten Hintergrund-Immunität“ für den weiteren Verlauf des Blogs im Auge behalten.


(1) Die “Welle” ist längst vorbei:

(2) Fallzahlen so niedrig wie nie:

Quelle für (1) und (2): RKI-Situationsbericht vom 16.07.2020

https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html

(3) Transkript von Prof. Drostens Podcast:

https://www.ndr.de/nachrichten/info/Coronavirus-Update-Die-Podcast-Folgen-als-Skript,podcastcoronavirus102.html